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Yilmaz Dziewior

Vorwort

Ob es die Moderne als Zeitalter der Vernunft und des Fortschritts je gab, mag in Anlehnung an Bruno Latours Buch Wir sind nie modern gewesen zur Diskussion stehen, dass die Menschen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch wegen ihrer Technikbegeisterung neu zur Pflanze fanden dagegen nicht. Von einem »Geysir neuer Bilderwelten« schrieb Walter Benjamin angesichts der großen Zahl an Fotobüchern und Filmen zum Thema, und auch ein Blick in die Depots des Museum Ludwig zeigt, dass es in allen Medien grünte. Es finden sich tropische Zimmergärten in deutschen Wohnungen auf Papier, Kakteen auf Leinwand, Blumenkleider in Silbergelatine oder Knospen und Zweige aus Marmor und Bronze. Letztlich steht hinter all den Pflanzendarstellungen der Mensch – sein Selbstverständnis, geprägt von Traditionen, Mythen und der Frage, ob die Pflanze bloß Material oder doch Lebewesen sei. Wissenschaftliche Untersuchungen der Mimose jedenfalls, einer tropischen Pflanze, die schon vor hundert Jahren Einzug in die westlichen Wohnzimmer hielt, sprachen für Letzteres.

Dass dieser Katalog nicht wie sonst auf Papier gedruckt ist, liegt daran, dass wir im Team des Museum Ludwig neue Wege nachhaltigen Ausstellungsmachens beschreiten wollen, ökologisch wie sozial. Wenn Pflanzen bei der Eröffnung des Museums 1986 noch zur sogenannten Umwelt zählten, die es zu schützen galt, setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass sie nicht an der Peripherie einer anthropozentrisch gedachten Welt wachsen, sondern diese wesentlich ausmachen. Es geht uns darum, das ökologische System, von dem wir nur ein Teil sind, einzubeziehen, tiefer zu verstehen, um der Klimakrise mit aktivem Handeln zu begegnen. Ein klimaneutral gehosteter, erstmals auch kostenfreier digitaler Katalog, der Verzicht auf Leihgaben und die dafür nötigen Transporte und weitere Aspekte der Ausstellung Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen haben in allen Abteilungen zu einem intensiven Nachdenken über eine nachhaltige Museumsarbeit geführt, um Ansätze zu finden und verstärkt mit anderen Menschen in Austausch zu treten, damit wir dem Ziel näher kommen, dass das Museum Ludwig über diese Ausstellung – und seine Dachterrasse – hinaus zu einem grünen, dekarbonisierten Museum wird.