Ausstellung
Bilder von Pflanzen sind mehr als nur Bilder von Pflanzen. Sie erzählen uns immer auch von Menschen, deren Wünschen und Ängsten, Lebenseinstellungen und Weltordnungen. Das tun sie heute, und das taten sie vor hundert Jahren, als eine städtische und technikbegeisterte Moderne den Pflanzen neue Aufmerksamkeit schenkte. Zurückgeblieben sind tropische »Zimmergärten« auf Papier gezeichnet, Kakteen auf Leinwand, Blumenkleider in Silbergelatine oder Knospen und Zweige aus Marmor und Bronze. Um im Dickicht der Bilder Struktur zu schaffen, ist die Ausstellung in mehrere Kapitel gegliedert, die unterschiedliche Antworten geben auf die Frage: Was verraten uns die Bilder über das Verhältnis des Menschen zur Pflanze? Ein Verhältnis, das uns inmitten von Klimakrise und Artensterben einmal mehr beschäftigt.
Die Pflanze als das »Andere«
Mit ihrem Lied vom kleinen grünen Kaktus besangen die Comedian Harmonists ein Gewächs, das Anfang des 20. Jahrhunderts außerordentlich populär war. Der Kaktus galt als »Symbol des Exotischen, des Antibürgerlichen, des Weltreisegedankens«, wie es im Buch Die Schönheit unserer Kakteen 1925 hieß. »Unsere« Kakteen konnten sie allerdings erst werden, indem »Kakteenjäger« wie Curt Backeberg ihre Bedeutung für die indigene Bevölkerung und die ökologischen Zusammenhänge missachteten und sie in Nord- und Südamerika rodeten. In Deutschland bildeten sie das ästhetische und botanische »Andere«. Wie auch beim Gummibaum oder der Monstera wurden vor allem ihre klaren Formen geschätzt. »Naturplastik« nannte der Fotograf Albert Renger-Patzsch Kakteen. Die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien in Berlin erforschte derweil, auf welche Weise die Plantagenwirtschaft verschiedener Nutzpflanzen intensiviert werden könne. Aber dieser Hintergrund bleibt in den Bildern ebenso »unscharf, gegenstandslos«, wie Renger-Patzsch es für Aufnahmen von Kakteen empfahl.
Die angeeignete Pflanze
Martha Dix, Anneli Strohal, Greta Garbo – sie alle tragen in ihren Porträts Kleider mit Blumenmuster. Flora, die antike Göttin der Blüte, lebte auch in der sogenannten Neuen Frau fort, die kurze Haare trug und damit bei so manchen Mitmenschen Angst vor einer »Vermännlichung« der Gesellschaft auslöste. Marlene Dietrich begegnet dieser Furcht mit einer übergroßen Blüte am Revers ihres Fracks und einem ironischen Lächeln. Auch die Malerin Lili Elbe, die sich in den 1930er Jahren als eine der ersten Personen überhaupt geschlechtsangleichenden Operationen unterzog, trug Blumenkleider, um ihr Frau-Sein zu unterstreichen. Seit Jahrtausenden waren westliche Vorstellungen von Weiblichkeit mit Blumen verknüpft. Weniger öffentlich, unter der Kleidung, fanden sich Blumen auf der tätowierten Haut aller Geschlechter. Und ab 1911 trat der Tänzer Vaslav Nijinsky weltweit, auch in Köln, im Ballett Le Spectre de la rose (Der Geist der Rose) »als Verkörperung belebenden und verführerischen Blumenduftes« auf, wie es im Berliner Tageblatt hieß. In seiner Rolle als Rose, mit einem Kostüm voller rosafarbener Seidenblüten bekleidet, befreite er das Ballett von überlieferten Geschlechterrollen.
Blüte und Geschlecht
Die Blüte ist das Sexualorgan der Blume. Wenngleich die meisten Blumen zwittrig sind, Staub- und Fruchtblätter besitzen, wurden sie von Wissenschaftlern wie dem schwedischen Botaniker Carl von Linné (1707–1778) als getrennt männlich oder weiblich beschrieben und auf menschliche, heterosexuelle Denkmodelle übertragen. So schrieb er: »Die Blütenblätter […] dienen als Hochzeitsbetten, vom Schöpfer so herrlich geschaffen, verziert mit edlen Vorhängen und mit mannigfaltigen zarten Düften parfümiert, dass der Bräutigam die Hochzeitsnächte mit seiner Braut hier umso festlicher feiern kann.« Die Sexualisierung der Blume lässt sich noch im 20. Jahrhundert vielfältig beobachten, etwa in Hans Arps Skulptur Knospenkranz.
Pflanzenhorror
Horror beschreibt die Angst vor Phänomenen jenseits des Vertrauten. Pflanzen, die an Tiere oder Menschen erinnern, waren und sind im Horrorgenre ein beliebtes Motiv. Über das Buch Alraune (1911) von Hanns Heinz Ewers schrieb der Künstler George Grosz seinerzeit, es sei »gerade das Buch der Saison […], das meistgelesene in den Leihbibliotheken«. 1928 folgte die erste Verfilmung der Geschichte um eine Femme fatale, die nach der giftigen Alraunwurzel benannt ist. In Nosferatu (1922) diente ein kurzer Naturfilm derweil dazu, die fleischfressende Venusfliegenfalle mit einem Vampir zu vergleichen; immerhin galt eine Pflanze, die Tiere isst, als die Umkehrung einer vermeintlich natürlichen Ordnung. Und in Gustav Meyrinks Geschichte Die Pflanzen des Dr. Cinderella (1913) war es eine »animalische« Schlingpflanze, die Gruseln erzeugte:
»Mir wurde kalt vor Grauen, und ich schlich den Gang weiter, seiner Krümmung entlang. Einmal faßte ich nach der Mauer und griff dabei in ein splittriges Holzgitter, wie man es verwendet, um Schlingpflanzen zu ziehen. Es schienen auch solche in großer Menge daran zu wachsen, denn ich blieb fast hängen in einem Netz stengelartigen Geranks. Das Unbegreifliche war nur, daß sich diese Pflanzen, oder was es sonst sein mochte, blutwarm und strotzend anfühlten und überhaupt einen ganz animalischen Eindruck auf den Tastsinn machten. […] In diesem Moment flackerte ein Licht irgendwo auf und erhellte eine Sekunde lang die Wand vor mir. Was ich je an Furcht und Grauen empfunden, war nichts gegen diesen Augenblick. […] Und alles schienen Teile, aus lebenden Körpern entnommen, mit unbegreiflicher Kunst zusammengefügt, ihrer menschlichen Beseelung beraubt, und auf rein vegetatives Wachstum heruntergedrückt.«
Die Pflanze als Form und Farbe
Der Fotograf Karl Blossfeldt interessierte sich nicht für Pflanzen, ihre Namen und Funktionen. Was ihn interessierte, war ihre Form, die er für die Fotografie – manchmal bis zur Unkenntlichkeit – zurechtstutzte, damit Kunstgewerbler*innen sie als Vorlage für ihre Entwürfe nutzen konnten. Auch in der professionellen Floristik diente die Pflanze als »Baustoff«, wie der Kunsthistoriker Alfred Lichtwark 1905 schrieb: »In der Kunst des Straussbindens brachte man es nun nach wenigen Jahren wirklich sehr weit. Da grüne Blätter für roh galten, suchte man nach braunen und gelblichen, und wenn eine Blume nur grüne Blätter hatte, so wurde der Fehler verbessert, indem man ihr die braunen einer anderen andrahtete. Ich habe in Berlin jahrelang die Rosen nur mit den gelben oder braunen Blättern der Mahonia gesehen, nie mit ihren eigenen, und wer vor einem Berliner Blumenladen stand, konnte sich nur mit Mühe überzeugen, dass die ›Arrangements‹, die da auf dem schwarzen Sammet lagen, wirklich aus lebenden Blumen hergestellt waren und nicht aus künstlichen.« Andere, etwa der Künstler Karl Schmidt-Rottluff, verwendeten Blumen wie den giftigen Rittersporn für eine kontrastreiche Farbigkeit im Bild.
Die Pflanze als Verwandte
»Das Tier lebt, die Pflanze aber nicht, das ist die landläufige Ansicht«, konnte man noch 1920 lesen. Zeitrafferfilme von Pflanzen rüttelten gewaltig an dieser Ansicht. Aufnahmen durch das Mikroskop hatten schon im 19. Jahrhundert erkennen lassen, dass Menschen, Tiere und Pflanzen alle aus Zellen aufgebaut sind. Und Beobachtungen von Unterwassergewächsen hatten ergeben, dass die Pflanze den Sauerstoff produziert, den der Mensch atmet. Im frühen 20. Jahrhundert wurden die Grenzen zwischen Mensch und Pflanze durchlässiger, und der Westen erlebte einen frühen »nonhuman turn«, eine Hinwendung zu den Tätigkeiten nicht-menschlichen Lebens. Populär waren die Schriften des indischen Wissenschaftlers Jagadish Chunder Bose. In Die Pflanzen-Schrift und ihre Offenbarungen (dt. 1928) hielt er fest: »Wie menschenähnlich benimmt sich die Pflanze da überall! Ja, in gewisser Hinsicht können wir bei der Pflanze Fähigkeiten finden, welche die des Menschen noch übertreffen! Ich wurde hierauf eines Tages aufmerksam[,] als ich in meinem Laboratorium eine Reaktionskurve von Mimosa aufnahm. Ich erhielt eine gleichförmige Kurve; doch mit einem Male verkleinerten sich die Ausschläge; ich konnte dafür zunächst keine Ursache finden […]. Als ich aber zum Fenster hinausblickte, bemerkte ich eine Gruppe Wolken, die vor der Sonne vorbeizogen. Die Pflanze hatte die ganz leichte Verdunklung wahrgenommen, die ich nicht bemerkt hatte. Als die Wolken vorüber waren, erhielt die Pflanze ihre normale Vollkraft wieder, wie die registrierte Kurve erkennen lässt.« Der Philosoph Walter Benjamin sprach von einer sprudelnden Quelle, einem »Geysir neuer Bilderwelten«, durch den die Menschen in den 1920er Jahren in Büchern, Zeitschriften und Kinos Pflanzen neu entdeckten.